Intuitives Essen

Ich habe den Eindruck, dass wir immer mehr zu einem schwarz-weiß Denken in Bezug auf Gesundheit, Körperbild und Wohlbefinden neigen. Die mediale Verbreitung von Trends leistet dazu einen entscheidenden Beitrag.

Da wir zudem immer ungeduldiger werden, greifen wir noch häufiger zu Angeboten, die einen schnellen Erfolg versprechen. Alles muss schnell gehen und schnell verfügbar sein. Die konsequente Orientierung am Außen, lässt ein Spüren der eigenen Bedürfnisse kaum noch zu. Dabei geht es nicht nur um unsere Ernährung, sondern um all unsere Bedürfnisse. Von dem Bedürfnis nach Bewegung, Ruhe, Entwicklung, bis hin zu Nähe und Austausch mit anderen. Selten stellen wir den Status quo auf den Prüfstand und akzeptieren viel zu oft als Empfehlungen getarnte Vorgaben von außen. Die Bandbreite reicht von Ernährungsempfehlungen über die Häufigkeit von Sex bis hin zu kompletten Lebensentwürfen, die als erstrebenswert und gesellschaftlich akzeptiert gelten. Wir leben in einer Welt voller „Empfehlungen“ und haben verlernt auf unsere Bedürfnisse zu hören.

Das Buch Intuitive Eating von Evelyn Tribole und Elyse Resch ist erstmals 1995 erschienen. Mittlerweile liegt es in der dritten Auflage vor und leider lautet der deutsche Titel, aus meiner Sicht bewusst falsch übersetzt, Intuitiv Abnehmen. Damit rückt der Fokus wieder auf das Thema abnehmen. Liest man das Buch aufmerksam, wird man feststellen, dass intuitives Essen in erster Linie bedeutet, wieder auf den eigenen Körper zu hören und ihm zu vertrauen. Dabei spielt es keine Rolle, ob man abnehmen will oder einfach gesünder und bewusster mit seinem Körper umgehen will. Es gibt auch Menschen, die mit intuitivem Essen zunehmen, wenn sie vorher einfach konsequent unter ihrem genetisch bestimmten Gewichtsband lagen. Natürlich verkauft sich ein Titel mit dem Wort Abnehmen deutlich besser.

Was also ist intuitives Essverhalten?

Es gibt viele Definitionen dazu, aber ich möchte an der Stelle die Gelegenheit nutzen und dir verraten, was intuitives Essen nicht ist. Wir besitzen von Geburt an alles, was es braucht um intuitiv zu essen. Erst der Einfluss von außen lässt uns von diesem natürlich gegebenen Instinkt abweichen. Für unsere Vorfahren gab es keine regelmäßigen Mahlzeiten. Sie aßen, wenn sie Nahrung erbeutet hatten. Es gab Fastenphasen von ganz unterschiedlicher Dauer. Das war purer Stress, den unser Körper aber bewältigen konnte. Diese Fähigkeit besitzt unser Körper auch heute noch. Zum Leidwesen aller Diät haltenden Menschen. Wir sind jedoch keine Steinzeitmenschen mehr. Wir haben in unserer Wohlstandsgesellschaft fast immer Zugang zu Essen und das zu jeder Zeit. Nur unser Gehirn weiß das nicht und reagiert nach steinzeitlichem Muster auf künstliche Hungersnot. Er legt Reserven an und hält sie mit aller Macht, da er nicht weiß wann die Hungersnot vorbei ist.

Beobachtet man Babys und Kleinkinder, wird schnell deutlich warum der Einfluss von außen so entscheidend ist. Sie kennen keine vorgeschriebenen Essenszeiten, bis wir sie ihnen beibringen. Unsere Sozialisation und Kultur sind die ersten Einflüsse, die uns vom intuitiven Essen abbringen. Plötzlich wird einfach zu bestimmten Zeiten gegessen, egal ob man hungrig ist oder nicht. Nicht selten kommen wir hier erstmals in Konflikt mit unserem Körper. Ein Kind signalisiert Hunger aber da es noch keine Zeit zum Essen ist, wird es ermahnt bis zum Abendessen zu warten.
Wir lernen – Nicht mein Körper sagt mir, wann ich hungrig bin, sondern meine Eltern.

Intuitives Essen richtet sich nicht nach gesellschaftlich vorgegebenen Essenszeiten, sondern nach unserem individuellen Hunger- und Sättigungsgefühl.

Ich mag es nach Mustern oder Verknüpfungen zu suchen und habe daher in den letzten Wochen einfach die Häufigkeit meiner Nahrungsaufnahme notiert. Zu meiner Enttäuschung und auch Überraschung gab es kein wirkliches Muster. Es gab Tage an denen habe ich nur zwei Mal Hunger verspürt und andere an denen ich bis zu sechs Mal etwas gegessen habe, weil ich tatsächlich hungrig war. Selbst die Menge an Bewegung hatte keinen direkt erkennbaren Einfluss. Auch die Essensmenge und Vielfalt schwankten sehr stark.

Wer schon einmal eine Diät gemacht hat, weiß dass Gedanken ans Essen plötzlich präsenter sind als je zuvor. Der Verzicht, die Vorgaben und Verbote machen es schwer nicht ans Essen zu denken und damit beginnt das eigentliche Dilemma. Wir begeben uns in eine künstliche Hungersnot und unser Gehirn wird in Alarmbereitschaft versetzt. Die Nahrungszufuhr wird eingeschränkt aber wir leben in einer Gedankenwelt des Essens – Rezepte, Verbote, Kalorien- und Mengenangaben, Essenspläne, Meal-Prep (Essensvorbereitung) und vieles mehr. Wir richten unsere ganze Aufmerksamkeit auf etwas, dass wir eigentlich vermeiden wollen.

Schwangere Frauen kennen das Phänomen der selektiven Wahrnehmung sehr gut. Kaum sind sie schwanger, sehen sie um sich herum ständig schwangere Frauen. Die Zahl der Schwangeren hat sich aber nicht erhöht, ihre Aufmerksamkeit wird lediglich in eine andere Richtung gelenkt. Auch Autokäufer unterliegen diesem Wahrnehmungsfehler. Die Freude über das neue Auto ist so groß, dass man nun viel häufiger Fahrzeuge wahrnimmt, die vom gleichen Hersteller oder sogar das gleiche Model sind.

Hält man sich dieses Phänomen vor Augen, wird schnell klar, warum sich mit einer Diät auch die Wahrnehmung von Essen verändert. Wir wollen weniger essen, beschäftigen uns aber immer mehr damit und plötzlich nehmen wir um uns herum nur noch Essen wahr. Der Bäcker, an dem wir früher einfach vorbeispaziert sind, lockt uns plötzlich mit verführerischem Duft. Lebensmittel, die wir früher nicht wirklich mochten, die aber jetzt verboten sind, haben plötzlich eine magische Anziehungskraft. Ich habe auf diese Weise eine Vorliebe für Bananen entwickelt, obwohl ich die früher gar nicht so sehr mochte.

Intuitives Essen folgt keinen Ernährungsplänen und Nahrungsverboten.

Bei der Recherche zu meinem Blog habe ich viele Erfahrungsberichte von anderen gelesen. Es gibt sowohl sehr schöne Erfolgsgeschichten, als auch Berichte von gescheiterten Versuchen, die meinem ersten Versuch sehr ähnlich sind. Den Artikel zu meinem ersten gescheiterten Versuch intuitiver Esser zu werden findest du hier.

Was mir leider bei vielen Berichten zu Fehlversuchen aufgefallen ist, sind Beschreibungen von einem Essverhalten, dass auf Essstörungen hindeutet. Essstörungen sind heute präsenter denn je. Waren Magersuch und Bulimie früher die bekanntesten Ausprägungen, so finden heute weitere Probleme wie Binge-Eating-Störung (regelmäßige Fressattacken), Orthorexie (zwanghafte Erfassung von Nährwerten und Vitaminen) und exzessiver Sport zum Ausgleich von zu viel Essen immer mehr Verbreitung.

Im Netz kursieren unter dem Hashtag #cheatday Bilder von Fressgelagen, deren Absurdität alarmierend ist. Der Cheatday repräsentiert einen Tag in der Woche, an dem vermeintlich gesund lebende oder Diät haltende Menschen sich all die Leckereien gönnen, die sie sich an 6 Tagen in der Woche versagen. Mit Genuss oder gesundem Essen hat das nichts zu tun. Vorfreude und Genuss sind ein schöner Teil unseres Lebens. Das Besondere hat einen Wert und diesen sollten wir uns bewahren. Ich liebe es am Wochenende etwas Besonderes zu kochen oder zu backen. Deswegen findest du in meinen Rezepten die Rubrik Sonntagsgenuss.

Cheatdays im Format einer Fressorgie sind krankhafte Versuche der ständigen Kontrolle über den eigenen Körper zumindest an einem Tag zu entsagen. Sie zeugen davon, dass wir mit der Arbeit gegen unseren Körper Dämonen in uns wecken, die keinerlei Grenzen mehr kennen. Wer zu solchen Mitteln greift, befindet sich meiner Ansicht nach auf dem besten Weg in eine Essstörung.

Die Erfahrungsberichte vieler gescheiterter intuitiver Esser sind leider voll von Hinweisen auf Essstörungen. Es wird entweder noch immer die Kalorienzahl ermittelt, an bestimmten Tagen eine nicht nachvollziehbare Menge von Süßigkeiten oder anderen ungesunden Lebensmitteln konsumiert oder die Frage gestellt, warum man trotz des vielen Sports nicht abnimmt. Wenn du solche Verhaltensweisen bei dir erkennst, bitte ich dich, diese ernst zu nehmen und dich auf die Suche nach den Ursachen zu machen. Idealerweise mit professioneller Unterstützung, denn ohne diese Basisarbeit wird dir intuitives Essen nicht gelingen.

Intuitives Essen bedeutet nicht wahllos Essen in sich reinzustopfen.

Der erste Schritt in die richtige Richtung ist sich frei zu machen. Frei von einer Diätmentalität, frei von Regeln und Verboten aber auch frei von Zwängen, wie es Essstörungen sind. Intuitives Essen bedeutet den körperlichen Hunger bewusst zu spüren und ihn nicht mit Gelüsten oder emotionalem Hunger zu verwechseln. Emotionaler Hunger ist für mich einer der häufigsten Auslöser für Heißhunger auf bestimmte Lebensmittel. Meine Leidenschaft für Cappuccino ist noch heute eng verbunden mit den positiven Erinnerungen an eine Liebesbeziehung. Wie diese entstand erfährst du hier.

Viele Menschen neigen dazu, sich mit bestimmten Lebensmitteln zu trösten oder zu beruhigen. Diese Gewohnheiten haben irgendwo ihren Ursprung. Um emotionalen Hunger von echtem Hunger zu unterscheiden, musst du dich deinem emotionalen Hunger stellen. Körperlicher Hunger lässt sich mit jedem Lebensmittel stillen, dass du generell essen würdest. Emotionaler Hunger hat eine Verbindung zu bestimmten Nahrungsmitteln. Das Problem dabei ist, dass du vielleicht meinst deinen Hunger damit zu stillen aber das was deinen emotionalen Hunger geweckt hat, lässt sich nicht mit Essen befriedigen. Suche nach dem Ursprung für deinen emotionalen Hunger. Wenn du zum Beispiel meinst, dass dein Körper gerade jetzt eine riesige Portion Eis benötigt, dann mache Folgendes:

  • Nimm dir etwas von dem Eis, setze dich an den Tisch und genieße jeden Löffel bewusst. Spüre den Geschmack, die Kühle und cremige Süße.
  • Lass dich durch nichts von diesem Genuss ablenken – kein Fernsehen, kein Handy, keine Musik
  • Schließe deine Augen und erinnere dich an ein schönes Erlebnis, dass du mit Eis essen verbindest
  • Mach dir bewusst, was außer dem Eis an diesem Erlebnis schön war – vielleicht war es ein Tag mit Freunden, die Sonne zu spüren oder ein besonderer Ort
  • Spüre welche positiven Gefühle dich an diesem Tag begleitet haben
  • Frage dich, wodurch du diese Gefühle jetzt noch wecken könntest – geh raus in die Sonne, telefoniere mit deinen Freunden, kehre an den Ort zurück und wenn das nicht geht, sieh dir die Fotos an, die du vielleicht davon hast
  • Mach dir bewusst, dass das Eis nur ein Teil dieses schönen Erlebnisses war und lenke deine Gedanken in eine andere Richtung
  • Wenn du noch immer mehr von dem Eis essen möchtest, dann nimm dir eine weitere Portion aber genieße diese genauso bewusst und ohne jegliche Schuldgefühle

Intuitives Essen braucht keine bestimmten Nahrungsmittel um deinen Hunger zu stillen.

Wir neigen immer mehr dazu unseren emotionalen Hunger mit Dingen zu stillen, die ihn gar nicht stillen können. Konsum in jeglicher Form ist aus meiner Sicht die weit verbreitetste Art damit umzugehen. Wer diesen Hunger nicht mit Essen stillt, hat mitunter andere Neigungen, um mit negativen Emotionen wie Ärger, Wut, Trauer, Scham oder Enttäuschung oder aber Stress im Allgemeinen umzugehen.

Unser Leben im Außen macht es immer schwieriger das Innen zu spüren.

Wenn wir traurig sind, neigen wir eher dazu, das Gefühl zu unterdrücken, als ihm den nötigen Raum zu geben und uns bewusst damit auseinanderzusetzen. Die Kompensation über Konsum verspricht eine schnellere Erleichterung, als die bewusste Auseinandersetzung. Wir haben ja auch so wenig Zeit und so viel um die Ohren. Ich habe negative Gefühle über Jahre unterdrückt, denn wer Erfolg haben will, muss strahlen. Zumindest war das meine Auffassung. Es gab Zeiten, in denen ich mich nicht einmal daran erinnern konnte, wann ich das letzte Mal geweint habe. Stärke und Optimismus passen nicht zu Tränen. Heute gebe ich all meinen Emotionen viel mehr Raum. Ich nehme sowohl die negativen, wie auch positiven viel bewusster wahr. Dazu nutze ich neben Meditation vor allem Bewegung, Achtsamkeitsübungen und kreative Tätigkeiten.

Ich wünschte ich könnte den einen Moment benennen, in dem ich mir den Zugang zu meinen Gefühlen verbaut habe, aber den gibt es nicht. Wir machen so viele verschiedene Erfahrungen im Laufe unseres Lebens und einige davon sind prägender als andere. Es ist vielmehr ein schleichender Prozess gewesen. Wichtig war für mich die Erkenntnis, dass man diesen Prozess auch wieder umkehren kann. Die Freiheit seinen Emotionen Raum zu geben, ist für mich daher auch Basis um ein intuitiver Esser zu werden, denn wer auf seinen Körper hört, nimmt auch seine Gefühle bewusster war. Daher findest du unter der Rubrik Wohlbefinden Tipps und weitere Artikel zu Themen wie Meditation, Achtsamkeit und Bewegung.

Intuitives Essen unterdrückt keine Emotionen, sondern fördert Achtsamkeit. Körperlicher Hunger ist kein emotionaler Hunger.

Du findest im Netz sehr viele Definitionen zu intuitivem Essen. Wenn wir jedoch reflektieren wollen, ob wir uns entsprechend dieser Definition verhalten ist es wesentlich leichter zu wissen, was es nicht ist. Wer noch kein intuitiver Esser ist, wird sich in den oben genannten Punkten viel eher wiederfinden und erkennt damit leichter an welchen Verhaltensweisen er ansetzen kann, um sich auf den richtigen Weg zu begeben.
In jedem Fall empfehle ich das Buch Intuitive Eating von Evelyn Tribole und Elyse Resch.

Teile gerne deine Erfahrungen zu intuitivem Essen im Kommentarbereich, per Email oder in der Facebook Gruppe Eat Only When Hungry.

Expertise für ganzheitliche Gesundheit

Bist du auf der Suche nach einer ganz persönlichen Begleitung? Ich biete ein umfassendes Online Coaching mit Ernährungsberatung an. Dabei liegt der Fokus auf schrittweisen Änderungen, die Dir helfen Dich gesund und intuitiv zu ernähren, damit Du Dich rundum wohl fühlst. Wenn Dich ein Coaching interessiert, dann schreibe eine Email mit dem Stichwort Coaching an info@eatonlywhenhungry.com Du erhältst dann eine Übersicht zu den Inhalten und Kosten von mir und wir führen ein erstes kostenfreies Gespräch zu Deinen Wünschen und Zielen.