Die Macht der Gewohnheit

Heute scheint es für viele Menschen sehr normal zu sein sich fast täglich einen Kaffee „To Go“ zu leisten. Coffeeshops sind fast überall zu finden und da Einwegbecher sich zu einem gravierenden Müllproblem entwickelt haben, sieht man viele Menschen nun mit ihren bunten, wiederverwendbaren Bechern durch die Innenstädte laufen. Auch ich liebe es nach wie vor, in diese Coffeeshops zu gehen. Meine Vorliebe für eine bestimmte Kette hat dabei einen recht romantischen Hintergrund.

Als ich in meinen ersten Job startete, wurde Kaffee trinken sehr schnell zu einer Gewohnheit. Ich nahm mir kaum Zeit zum Essen aber der Kaffee füllte mir für einige Zeit den Magen und hielt mich am Laufen. Mit dem Umzug in ein neues Büro ergab es sich, dass auf meinem Weg zur Arbeit einer dieser Shops war. Wir hatten zwar eine sehr gute Kaffeemaschine im Büro aber keinen Milchschäumer und ich mochte Cappuccino. So kam es, dass ich mir gelegentlich einen Cappuccino „To Go“ holte. Bei meinem anfänglich noch spärlichen Gehalt war mir durchaus bewusst, dass ich mir diesen Luxus nicht jeden Tag leisten konnte.

Eines Morgens stand mir plötzlich ein neuer Barista gegenüber. Er lächelte mich an und seine blauen Augen zogen mich sofort in ihren Bann. Er fragte nach meiner Bestellung und nachdem ich für einen Moment nichts sagen konnte, stammelte ich etwas verlegen: „Einen mittleren Cappuccino mit fettarmer Milch bitte.“

„Verrätst du mir deinen Namen?“ Wieder zögerte ich und so ergänzte er: „Ich schreibe ihn auf deinen Becher.“ Er lächelte noch immer. Mittlerweile wurde ich rot und so sagte ich ihm schnell meinen Namen, bezahlte und ging etwas weiter vor an den Tresen, um auf meinen Cappuccino zu warten. „Mittlerer Cappuccino mit fettarmer Milch für Annette.“ rief ein anderer Mitarbeiter.

Ich mochte es nicht, wenn man meinen Namen so falsch schrieb und aussprach und schnappte mir meinen Becher. Ohne einen weiteren Blick in Richtung des neuen Baristas verließ ich den Laden. Die kalte Morgenluft tat gut und sorgte dafür, dass sich meine Gesichtsfarbe wieder normalisierte. Natürlich erzählte ich meiner Kollegin von dem neuen Barista und so wollte sie mich am nächsten Morgen begleiten um zu sehen, wer mir da so den Kopf verdreht hatte.

Die Schlange war endlos lang und so reckte sie sich um einen besseren Blick zu haben. Ich wünschte währenddessen, ich hätte ihr nichts erzählt und hoffte nur, sie würde mich nicht in Verlegenheit bringen. Als wir an der Reihe waren, drängte ich sie vor mich, damit sie ihre Bestellung aufgeben konnte. Der Barista lächelte auch sie an und fragte nach ihrem Namen. Doch als ich vor ihm stand, wurde sein Lächeln noch etwas wärmer. Ich war weiterhin bemüht meine Verlegenheit zu verbergen, nicht unentwegt in seine blauen Augen zu starren und konzentrierte mich darauf mein Geld abzuzählen. Als er wieder nach meinem Namen fragte, nahm ich jedoch meinen Mut zusammen, lächelte ihn an und antwortete: „Annett, A n n e t t hinten bitte ohne e.“ Er musste lachen und sagte: „Das reimt sich sogar. A n n e t t und hinten ohne e.“ buchstabierte er langsam meinen Namen, während er ihn auf den Becher schrieb. Nun musste auch ich lachen. Meine Kollegin beobachtete amüsiert die Szene und zog mich weiter, als sie bemerkte wie einer der Männer hinter mir schon genervt auf seine Uhr schaute. „Hör auf zu flirten, wir müssen ins Büro.“ flüsterte sie mir zu. Wir nahmen unsere Becher und als wir draußen waren, deutete sie mit gespielt trauriger Miene auf meinen Cappuccino. „Den Smiley habe ich aber nicht bekommen.“

Natürlich gingen wir auch am nächsten Morgen in den Coffeeshop. Wieder gab es den extra Smiley auf meinem Becher und sie sagte lachend zu mir: „Es wird ein teurer Flirt, wenn du jetzt jeden Tag Cappuccino trinken gehst. Ich kann da nicht immer mit.“ Doch ich konnte nicht anders und so ging ich auch am vierten Morgen wieder einen Cappuccino bestellen. Diesmal nahm er einfach einen Becher und während er schrieb sagte er: „Mittlerer Cappuccino mit fettarmer Milch für Annett ohne e.“ Nachdem ich bezahlt hatte, bat er seinen Kollegen die Kasse zu übernehmen und bereitete selber meinen Cappuccino zu. Ich ging zum Ende des Tresens. Als er mir meinen Becher gab, lächelte er mich an, schob mir schnell eine Serviette und einen Stift zu und bat um meine Telefonnummer.

Aus dieser Begegnung im Coffeeshop ergab sich eine wirklich schöne Romanze. Wir hatten beide unter der Woche kaum Zeit, da er am Abend seine Diplomarbeit schreiben musste. Zumindest sahen wir uns während der Arbeitspausen und am Wochenende. Der Cappuccino am Morgen wurde zu einem schönen, wenn auch teuren Ritual. Leider bekam er nach seinem Abschluss ein Jobangebot in einer anderen Stadt und ich war noch nicht lange genug in meinem, um schon wechseln zu wollen. Ich blieb in Berlin und er zog nach Bayern. Die Fernbeziehung war dann leider aufgrund von Zeit- und Geldmangel zum Scheitern verurteilt. Wir trennten uns schweren Herzens. Trotzdem erinnere ich mich noch immer gerne an diese Beziehung, wenn ich einen Kaffee bei dieser Kette bestelle.

Nun fragst du dich vielleicht, was diese Geschichte mit der Macht der Gewohnheit zu tun hat. Mein Freund hatte bereits während unserer Beziehung den Job als Barista aufgegeben und eigentlich hätte ich dann wieder öfter Kaffee im Büro trinken können. Doch ich hatte mich an den Luxus meines Cappuccinos gewöhnt, weil ich damit positive Emotionen verband. Erst als ich den Job wechselte und kein Coffeeshop mehr auf meinem Weg lag, änderte ich diese Gewohnheit und trank wieder mehr Kaffee im Büro.

In seinem Bestseller Die Macht der Gewohnheit beschreibt Charles Duhigg mit sehr vielen Beispielen, wie wir Gewohnheiten entwickeln und welche Faktoren dazu beitragen. Die Verknüpfung mit positiven Emotionen ist nur einer dieser Einflüsse. Wichtig ist es zu verstehen, dass wir die meisten unserer Handlungen nicht aktiv steuern. Je öfter wir sie vornehmen und je mehr sie zu einem Ritual werden, umso weniger haben wir darauf aktiv Einfluss. Wir laufen sozusagen auf Autopilot. Dieser Autopilot ist von Mensch zu Mensch verschieden. Jeder hat andere Gewohnheiten und somit gibt es auch kein Patentrezept zum Abschalten von schlechten Gewohnheiten. Ob Rauchen, übermäßiges Essen oder der tägliche Cappuccino. Jeder hat seine individuelle Geschichte und damit verbundene positive, wie negative Gewohnheiten.

Charles Duhigg beschreibt die Entwicklung von Gewohnheiten mit dem Habit Loop. Der Habit Loop zeigt wie unser Gehirn arbeitet, wenn sich Gewohnheiten bilden. Im Wesentlichen geht es um drei Themen, wie du in der Grafik sehen kannst:

  1. der Reiz bzw. Auslöser
  2. die Routine bzw. Handlung
  3. die Belohnung bzw. das Ergebnis

Nehmen wir meine Cappuccino Gewohnheit als Beispiel:

Die Routine war der Kauf eines Cappuccinos. Was war der ursprüngliche Reiz bzw. der Auslöser? Grundsätzlich war es natürlich der Wunsch nach einem leckeren Cappuccino. Und die Belohnung? Der Genuss des Cappuccinos auf dem Weg zur Arbeit und das Gefühl mir diesen kleinen Luxus zu gönnen. Doch dann kam ein neuer Reiz ins Spiel. Der Wunsch den Barista wiederzusehen und ihn dann auch im Verlauf der Beziehung jeden Morgen sehen zu können. Die Belohnung waren dann natürlich all die schönen Gefühle, die ich damit verband und so wurde daraus Routine. Unser Gehirn fängt an Verknüpfungen herzustellen. Ich verband plötzlich mit dem Cappuccino nicht nur den Genuss, sondern so viele positive Gefühle, dass ich selbst als mein Freund dort nicht mehr arbeitete, noch die gleiche Freude an meinem Cappuccino Ritual empfand. Das ist etwas vereinfacht erklärt „Die Macht der Gewohnheit“.

Vielleicht hast du auf ähnliche Art und Weise Gewohnheiten entwickelt. Eine Freundin hat zum Beispiel erst gemerkt, dass sie gar keine Schokocroissants zum Frühstück mehr mag, als ihr Lieblingsbäcker schließen und sie auf ein anderes Frühstück ausweichen musste. Für sie war es einfach eine Gewohnheit geworden.

Es ist absolut normal, dass wir Gewohnheiten entwickeln. Sie helfen uns unser Leben zu meistern. Erst wenn wir Gewohnheiten entwickeln, die uns stören und mitunter Schaden anrichten, wird es Zeit diese zu hinterfragen. Dabei ist es wichtig nicht nur zu schauen, wodurch wir sie entwickelt haben. Hilfreich ist es, sich den damit verbundenen „Habit Loop“ genau vor Augen zu führen. Wenn man weiß, welcher Reiz eine Handlung herbeiführt und was für uns die Belohnung ist, dann kann man daran arbeiten, negative Gewohnheiten in positive umzuwandeln. Dafür findest du in der Challenge eine Vorlage, die es dir erleichtern wird, deine Gewohnheiten zu hinterfragen.

Es gibt übrigens Gründe, warum besagte Kette, den Namen auf die Becher schreiben lässt. Das hat nichts mit Verwechselungsgefahr zu tun, sondern sehr viel mehr mit positiven Gefühlen. Der personalisierte Becher löst positive Gefühle aus, da man sich als Kunde gesehen fühlt und guten Service damit verbindet. Obwohl es günstigere Coffeeshops mit besserem Kaffee gibt, setzt auch hier das Marketing auf die Macht der Gewohnheit. Ein positives Kundenerlebnis, lässt uns immer wieder gerne zurückkommen.

Meine Cappuccino Gewohnheit hat mich über drei Jahre ein kleines Vermögen gekostet. Zum Glück wurde mein Gehalt erhöht aber wenn man sich das mal genauer ausrechnet, dann wird die Summe recht beeindruckend und vielleicht hätte ich das Geld besser in mehr Zugtickets investiert.

Hier findest du mehr zu Charles Duhigg: www.charlesduhigg.com

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