Warum wir an Diäten scheitern

Wenn ich heute alle Kilos, die ich im Laufe meiner Diät-Karriere abgenommen habe auf einmal verlieren würde, wäre ich nicht mehr lebensfähig. Die meisten Diäten funktionieren. Kurzfristig. Doch bringen sie nicht sehr viel, wenn es darum geht fehlgeleitetes Essverhalten und schlechte Gewohnheiten dauerhaft abzulegen. Beides findet sich übrigens nicht nur bei Menschen mit Gewichtsproblemen. Für mich sind Diäten vergleichbar mit Medikamenten, die in erster Linie Symptome bekämpfen aber nicht die zugrundeliegende Krankheit. Man fühlt sich für eine gewisse Zeit besser, die Symptome bzw. die Kilos sind weg, nur das eigentliche Problem ist noch immer da.

Neben unseren Gewohnheiten und unserem Umfeld haben auch die Biologie und Psychologie einen großen Einfluss auf unser Erscheinungsbild. Mit Biologie möchte ich an dieser Stelle unsere Genetik und den Einfluss von Hormonen ansprechen. Psychologie beschäftigt sich unter Anderem, mit Einflüssen, die Veränderungen in unserem Verhalten herbeiführen. Es gibt viele Faktoren, die nicht mit dem Essen zusammenhängen und für mich war dies die wichtigste Erkenntnis. Sie hat mich erst auf den Weg zum intuitiven Essen geführt. Wenn eine Diät sich nur darauf konzentriert, was und wieviel wir essen, werden diese Einflüsse leider komplett übersehen.

Biologie

Es gibt zahlreiche Studien, die belegen, dass unsere Gene einen massiven Einfluss darauf haben, in welchem Bereich unser Gewicht sich bei einer normalen und ausgewogenen Ernährung bewegen sollte. Man kann sich dies wie eine Art Bandbreite vorstellen, in der es für uns möglich ist mit Leichtigkeit unser Gewicht zu halten, wenn wir gesund sind.

Ich möchte an dieser Stelle nur zwei Studien als Beispiel nennen, um zu verdeutlichen welchen Einfluss Genetik auf unser Gewicht hat. Wer mehr dazu lesen möchte, dem empfehle ich das Buch Secrets From The Eating Lab von Traci Mann (leider bisher nur in Englisch)

In einer Studie mit 500 adoptierten Kindern wurde deren Gewicht, mit dem ihrer biologischen und der Adoptiveltern verglichen. Würden Umfeld und Erziehung den größeren Einfluss haben, wäre anzunehmen, dass das Gewicht der Kinder mit dem der Adoptiveltern korrespondiert. Die Forscher fanden jedoch eine deutlich größere Übereinstimmung mit dem Gewicht der biologischen Eltern. (Albert J. Stunkard et al., An Adoption Study of Human Obesity, New England Journal of Medicine 314)

In einer Zwillingsstudie wurden 93 getrennt aufgewachsene und 154 zusammen aufgewachsene Zwillingspaare untersucht. Es wurde angenommen, dass die getrennt aufgewachsenen Zwillinge sich weniger ähnlich sehen würden, wenn das Umfeld und die Erziehung den größeren Einfluss haben. Doch die Studie machte deutlich, dass die Ähnlichkeit wie bei den zusammen aufgewachsenen Zwillingen sehr groß war. Daraus schlossen die Wissenschaftler, dass unsere Gene zu 70 Prozent bestimmen, wie unser Gewichtsband aussieht. (Albert J. Stunkard et al., The Bodymass Index of Twins Who Have Been Reared Apart, New England Journal of Medicine 322)

Natürlich kann man sein Gewicht beeinflussen, aber diese Studien zeigen sehr eindrucksvoll, dass dies nur innerhalb einer natürlichen Bandbreite, die sich bis auf über 10 kg erstrecken kann, langfristig erfolgreich ist. Das diese Bandbreite nicht in einem Bereich von massivem Über- oder Untergewicht liegt, erscheint logisch. Dennoch ist dieses Band bei jedem Menschen anders. Wenn wir uns die gefeierten Ideale unserer Gesellschaft anschauen und das was vermeintlich als gesund gilt, dann ist die Bandbreite jedoch nicht sehr groß. So wie unsere Gene über unsere Größe, die Haar- und Augenfarbe entscheiden, so beeinflussen sie auch unser Gewicht. Hast du schon mal versucht größer oder kleiner zu werden? Trägst du Schuhe, die dir eigentlich zu groß oder zu klein sind?

Ok, wir können hohe Schuhe tragen, unsere Haare färben und farbige Kontaktlinsen einsetzen. Wie wäre es mit einer Korsage, jeden Tag? Der Punkt, auf den ich hinaus will ist, dass wenn wir uns die Mehrzahl der Menschen ansehen, die in ihrem Leben schon einmal eine Diät oder vielleicht auch mehrere gemacht haben, so finden sich darunter mindestens genauso viele normal-, wie übergewichtige Menschen. Warum fangen normalgewichtige Menschen an Diäten zu machen?

Psychologie

Auch ich habe meine erste Diät zu einer Zeit begonnen, in der ich absolut keinen Grund zum Abnehmen gehabt hätte. Ich wog knapp über 60 Kilo bei einer Größe von 1,73 m. Wie bei vielen Menschen war damals der Auslöser der Vergleich mit anderen. Obwohl meine Freundin deutlich kleiner war als ich, wollte ich in die gleiche Jeansweite passen. Darüber hinaus war meine Mutter im Modebereich tätig und so lagen die Hochglanzmagazine mit den wunderschönen Models überall in unserer Wohnung herum.

Ich wünschte, ich könnte in der Zeit zurückreisen und mein 14-jähriges Ich mit all meinem heutigen Wissen und meinen Erfahrungen davon abhalten, diesen ersten einen Schritt in die falsche Richtung zu gehen. Ich war gesund, machte sehr viel Sport und aß ebenso gesund wie (was für eine Überraschung!) intuitiv. Mit dieser ersten Diät begann jedoch ein Teufelskreis, der mich im Laufe meiner Diät- Karriere nicht nur etliche Kilos hat zu- und abnehmen lassen, sondern auch Einfluss auf meine Gesundheit genommen hat.

Mittlerweile habe ich mein eigenes Mantra, mit dem ich mir immer wieder bewusst mache, welchen negativen Einfluss das Streben nach falschen Idealen hat:
Der ständige Vergleich mit anderen ist der Feind der Akzeptanz und kein Weg in ein glückliches und erfülltes Leben.

Hormone

Wenn du meine Geschichte gelesen hast, hast du vielleicht einen ersten Eindruck dazu gewonnen, welchen Einfluss Hormone auf unseren Körper, unsere Gesundheit und auch unser Gewicht haben können. Ich bin der Meinung, dass meine Diät-Karriere einen wesentlichen Beitrag zu den hormonellen Störungen, unter denen ich gelitten habe, geleistet hat. Somit lässt sich für mich auch nicht beantworten, ob meine Schilddrüsenunterfunktion ein Ergebnis meines Kampfes gegen meinen Körper war, oder schon immer da war und die Gewichtszunahme begünstigt hat, wenn ich nicht gehungert habe.

Wichtig ist es, generell zu verstehen, welchen Einfluss Hormone in unserem Körper haben. Wenn wir zu- oder abnehmen verändert sich unser Körperfettanteil und mit ihm der Level, der dort gebildeten Hormone. Fettzellen sind nicht nur unliebsame Hüftpolster. Unser Fettgewebe gilt als eigenständiges endokrines Organ, das bedeutet, dass es so wie andere Organe (z. B. Bauchspeicheldrüse, Schilddrüse und Nebennieren) Einfluss auf die Hormonproduktion nimmt. Die darin gebildeten Adipokine (sogenannte Signalmoleküle) steuern die Produktion von Hormonen, die einen wesentlichen Einfluss auf unser Hunger- und Sättigungsgefühl haben. Verändert sich das Fettgewebe, verändert sich auch der Level dieser Hormone in unserem Körper.

Zwei der wesentlichen Hormone sind Leptin und Ghrelin. Während Leptin vereinfacht als Sättigungshormon bezeichnet werden kann, gilt Ghrelin als sein Gegenspieler und verursacht Hungergefühle. Unser gesamter Hormonhaushalt ist ein komplexes aber auch sehr sensibles System. Sind wir gesund, reguliert sich dieses System von ganz alleine aber sobald externe Faktoren darauf einwirken, kann es schnell aus dem Ruder laufen. Wie schnell das passieren kann, zeigt sich zum Beispiel, wenn Menschen eine Insulin- oder Leptin-Resistenz entwickeln. Beide Zustände sind mit Schwierigkeiten bei der Gewichtsregulation verbunden. Eine der wichtigsten Maßnahmen ist in beiden Fällen Bewegung.

Eine Diät bedeutet externe Einflussnahme, denn wir arbeiten gegen unseren Körper, in dem wir uns Hungersignalen widersetzen und mitunter essen obwohl wir keinen Hunger haben. Ich habe Proteinshakes heruntergewürgt obwohl ich nicht hungrig war, aber es stand im Plan, dass ich sonst Muskelmasse verlieren würde.

Der entscheidende Faktor ist, dass wir unserem Körper nicht mehr vertrauen, sondern auf einen Plan, der unsere persönlichen Umstände gar nicht alle berücksichtigen kann. Warum sollten wir jeden Tag die gleiche Kalorienmenge zu uns nehmen, wenn wir ganz unterschiedliche Aktivitätslevel haben. Hast du schon mal versucht, bei einer Diät mit 1200kcal täglich, 2 Stunden Mountainbike zu fahren? Kein Wunder, dass dann auf viele intensive Workouts, Fressanfälle folgen. Wir sind hungrig. Hunger bedeutet Stress und erhöht den Cortisolspiegel. Cortisol ist eines der wichtigsten Stresshormone und ist wichtig für die Regulation unserer Schlaf- und Wachphasen, die Regulation von Blutdruck und den Umgang mit Stress. Ein normaler Cortisolspiegel ist morgens am höchsten und nimmt dann im Laufe des Tages ab. Leider gibt es in unserer modernen Welt viele Einflüsse, die dafür sorgen, dass der Cortisolspiegel eher einen Auf und Ab Verlauf über den gesamten Tag zeigt und bei manchen Menschen sogar am Abend viel zu hoch ist. Dieses wichtige Hormon tut sehr viel gutes in unserem Körper. Doch glaub mir, du möchtest nicht dauerhaft zu viel oder aber zu wenig davon haben.

Ein dauerhaft zu hoher Cortisolspiegel wird als ein wesentliches Hindernis beim Gewichtsverlust gesehen. Unser Steinzeitgehirn stellt den Körper auf Notprogramm und hält an jeder Reserve fest. Es weiß ja nicht, dass Du jederzeit zum Kühlschrank gehen und Dir etwas zu essen nehmen kannst.

Das ist das Gegenteil von dem, was du eigentlich willst, wenn du mit einer Diät beginnst. Für mich ist dies einer der Hauptgründe, warum Diäten ein Teufelskreis sind. Wenn man einmal damit angefangen hat, muss man für immer damit weitermachen. Mit gesunder Ernährung hat das nichts zu tun. Wenn du deinen Körper mit Diäten stresst und Stress es schwierig macht abzunehmen, wie um alles in der Welt soll eine dann Diät helfen?

Die Gewichtsabnahme fällt mir am leichtesten, seit ich begonnen habe, alle Stressfaktoren in meinem Leben zu beseitigen. Ich habe mit exzessivem Cardio Training aufgehört und mich für Yoga und Krafttraining entschieden, ich vermeide Koffein, lege regelmäßige Arbeitspausen ein, ich meditieren, wende andere Achtsamkeitsübungen an und habe vor allem aufgehört Diäten zu machen.

Stress ist nur ein Element, das einem entgegenwirkt, wenn man abnehmen will, aber es ist ein wichtiges Element.

Umfeld

Hast du dich schon einmal gefragt, warum viele Menschen anfangen zuzunehmen, wenn sie mit einer neuen Umgebung konfrontiert werden? Sei es ein neuer Arbeitsplatz, der Auszug aus dem Elternhaus, der Verlust des Arbeitsplatzes, das Lösen aus einer Beziehung oder jeder andere Umstand, unter dem sie sich auf die eine oder andere Weise gefordert fühlen. Stress hat viele Gesichter, und die meiste Zeit sind wir so sehr damit beschäftigt, mit unseren Alltagsproblemen umzugehen, dass wir uns der Auswirkungen gar nicht bewusst sind.

Als ich meine erste feste Stelle antrat, geschah genau dies. Ich habe lange gearbeitet, wollte mich beweisen und gleichzeitig meine Diplomarbeit schreiben. Ich genehmigte mir nur selten Pausen und aß tagsüber kaum etwas, trank viel Kaffee (der auch das Cortisol erhöht) und vernachlässigte die Zeichen meines Körpers völlig. Natürlich war ich extrem hungrig, als ich nach Hause kam, und natürlich war ich zu müde, um zu kochen. Bei meinen Abendessen ging es definitiv nicht um Gesundheit, sondern um Bequemlichkeit und Trost, da ich damals auch nicht viel Zeit für mein soziales Leben hatte. Ich war gestresst, fühlte mich einsam, und ich war zu müde und hatte auch keine Zeit, ins Fitnessstudio zu gehen. Ich nahm bald an Gewicht zu und begann, mich mit Diäten zu stressen. Anstatt mir Zeit zum Essen zu nehmen, wenn ich hungrig war, Stress abzubauen und mir Zeit für andere Aktivitäten zu nehmen, sorgte ich für zusätzlichen Stress.
Wieder einmal war ich in den Teufelskreis zurückgekehrt.

Ich denke, du erkennst den Einfluss von Stress auf unseren Lebensstil und unsere Gesundheit. Typische Diäten verursachen Stress, weil man die Zeichen des Körpers vernachlässigt, genauso wie man die Zeit vernachlässigt, die man braucht, um sich zu entspannen oder sich zu bewegen. Die Kombination aus einem stressigen Lebensstil und einer Diät kann die Situation noch verschlimmern. Allein die Festlegung auf eine bestimmte Anzahl von Kalorien pro Tag, sollte deutlich machen, dass wir gegen unseren Körper arbeiten.

Beobachtet man kleine Kinder und Babys, so wird man schnell erkennen, dass deren Hunger von Tag zu Tag variiert. Doch heute scheint es, als würden mehr und mehr Kinder, auch Kleinkinder zu viel essen, ebenso wie Erwachsene und Teenager. Unser Umfeld hat einen massiven Einfluss. Meiner Meinung nach, gibt es viel zu viele negative Einflüsse aus der Lebensmittelindustrie. Mit verlockendem Essen an jeder Ecke, übergroßen Portionen, Zucker und Zusatzstoffen in fast allem, wird es auch immer schlimmer.

Beispielsweise präsentieren Eltern ihren Liebsten gerne Produkte, die als gesund vermarktet werden und bei denen es sich in Wirklichkeit um versteckte Süßigkeiten handelt. Statt eines Apfels gibt es Spielereien wie Fruchtpüree in lustigen bunten Tüten, die Kinder durch ihre Präsentation ansprechen. Gäbe man ihnen einen Apfel, bliebe vielleicht die Hälfte des Apfels übrig. Das Kauen, die noch enthaltenen Ballaststoffe und die langsame Aufnahme von Zucker würden das natürliche Sättigungsgefühl ziemlich schnell einsetzen lassen. Diese Süßigkeiten werden jedoch viel zu schnell gegessen, und der Spaß daran verlangt oft nach mehr. So wird aus einem halben Apfel schnell die Menge einer Banane und eines Apfels. Es werden zu viel Zucker und Kalorien auf einmal verzehrt. Du ahnst es wahrscheinlich. Ich bin kein großer Fan von Smoothies und Säften, es sei denn, man hat wirklich keine anderen Möglichkeiten. Gelegentlich trinke ich sie auch, aber nicht wöchentlich oder jeden Tag. Wenn du Zähne hast, solltest du kauen. Vielleicht kommt der Tag, an dem du dir wünschen würdest, noch in einen saftigen Apfel beißen zu können.

Solange Eltern nicht anfangen Kinder zum Essen zu nötigen, wenn sie keinen Hunger haben und ihnen solche getarnten Süßigkeiten vorsetzen, werden Kinder intuitiv essen und auch als Erwachsene hoffentlich weiter auf ihren Körper und seine Signale hören. Denn so sollte es eigentlich bei jedem Menschen sein.
Intuitive Esser haben eine täglich variierende Kalorienzufuhr und eine weitestgehend ausgewogene Ernährung. Diäten gehen über die natürlichen Signale unseres Körpers hinweg und lösen damit eine Kettenreaktion aus, die viele Menschen nicht kennen.

Intuitives Essen wird dich langfristig in den unteren Bereich deiner genetisch bedingten Gewichtsspanne bringen. Ob du damit den gesellschaftlichen Idealen entsprichst, man dich als schlank, kräftig oder eher kurvig bezeichnet, sollte für dich keine Rolle spielen, wenn du gesund sein willst. Intuitives Essen verursacht keinen Stress und ermöglicht eine ausgewogene Ernährung. Dein Körper verlangt nach Abwechslung. Intuitives Essen wird deinem Aktivitätsniveau entsprechen und es dir ermöglichen, dein Essen zu genießen. Und hier kommt der wichtigste Teil: Dein Leben wird sich nicht ständig ums Essen drehen, sondern um Dinge, die dir wichtiger sind.

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